Lieber Peter,
Du fragst mich nach meinem Verhalten als Fussballmutter am Spielfeldrand. Du attestierst mir eine mögliche Vorbildfunktion. Gerne erkläre ich dir mein Verhalten.
Mein Umgang mit Stress am Fussballrand hat einen eher unrühmlichen Ursprung. Noch immer verstehe ich das Spiel nicht gut genug, um klar einschätzen zu können, was geschieht und geschehen wird und vor allem, was nicht geschah.
Vielleicht ist Nichtverstehen ein Präventionsansatz gegenDurchstarten und Ausflippen. Ich bin also selten gestresst am Rand des Fussballfeldes.
Ich freue mich, wenn ein Tor gelingt.
Was ich manchmal auch noch tue – das hast du auch schon erlebt -, Fussballväter beim konzentrierten Verfolgen des Spiels stören, indem ich mit ihnen ein Gespräch beginne. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Blickkontakt gibt es bei diesen Gesprächen selten, da der Blick der Väter gebannt auf dem Feld bleibt, so halbengagierte Wortfetzen schenkt man mir manchmal. Ich weiss dann natürlich schnell, dass ich weiterziehen muss.
Sonst freue ich mich am Spielfeldrand an den Bewegungen der Menschen auf dem Feld. Am Tanz im Spiel. Dabei spieltes eine untergeordnete Rolle, ob die Spielvi tanzt oder derGegner. Teils ist das Spiel /der Kampf vergleichbar mit einem Hip-Hop – Battle.
Im Fussball kann man verschiedene Tanzstile ausmachen. Wie oben gesagt Hip-Hop. Was am Boden stattfindet, würde sich eher mit Breakdance vergleichen lassen, dazu Contemporary,ein Tanzstil der als sinnlich jung und manchmal wildbeschrieben wird. Contemporary verbindet Geist und Körper, was beim Fussball durchaus auch gefragt ist. Auch Ballett ist im Fussball zu finden. Beides verlangt Eleganz und Ehrgeiz, Kraft und Grazie. Mit dem Ball wird durch die Reihen der Gegner gedribbelt, es gibt eine klare Grundaufstellung, auch Sprünge finden statt.
Othmar Hitzfeld besuchte einmal Richard Wherlock, denLeiter des Balletts Theater Basel. Er beobachtete, wie Wherlock die Tänzerinnen ermutigte, ihr Selbstvertrauen stärkte und gleichzeitig darauf achtete, dass keine der Tänzer und Tänzerinnen arrogantes Verhalten entwickelte.
Du fragst mich, ob sich mein Verhalten am Fussballrand über die Jahre geändert hat. Ob es für mich einen Unterschied machte, ob Alex beim FCS bei der Auswahl spielte oder bei der Spielvi. – Kaum, warum ist dir jetzt sicher klar. Ohne Fussball wirklich zu verstehen, konnte ich die Leistung von Alex über die Saison verteilt meist recht realistisch einschätzen. Ich freue mich, dass er gut Fussball spielt. Ich freue mich, dass ihn das freut und ich freue mich, dass es ihn freut, Trainer von jungen Fussballern zu sein.
Du weißt ja, ich mag Hollywood. Also das heisst, ich mag Märchen. In dem Sinne hätte ich mich durchaus als Mutter eines weltberühmten Fussballers gesehen. Das Haus, das er mir dann gekauft hätte, hätte mir gefallen. Der Blick aufs Meer oder in die Hollywood Hills. Aber wie gesagt, die realistische Einschätzung verliess mich nie.
Ja und nebst den Eigenschaften der lauten Idole, mag ich gerne die Eigenschaften der «Idole» ausserhalb des Rampenlichts: Treue, Verbindlichkeit, Fleiss, Bescheidenheit, Güte, Altruismus, Grosszügigkeit, die Bereitschaft zu teilen.
Am kommenden zweiten Dezemberwochenende findet das Hallenturnier der Spielvi statt. Dort werden sie wieder sein, die leisen „Idole“. Bevor der Tag beginnt, nachdem der Tag endet. Während des Tages. Wochen und Monate vorher schon.
Ja, und wir alle, die es nicht bis zur Nummer 10 schafften, haben viele Gelegenheiten im Leben, Stars zu sein. Stars sind ja Sterne. Das passt jetzt gerade zur Weihnachtszeit.
Apropos Weihnachten, ich habe mir erstmals im Leben eine teure Handtasche gekauft, zu Weihnachten. Eine, welche mirmein weltberühmter Fussballersohn gekauft hätte. Ich freue mich darüber. Das Haus und das Auto dazu lasse ich weg.
Zupacken und zusammen feiern – da bleiben ich dran.
Wir hören und lesen uns.
Herzliche Grüsse
Alice